Weltenfinsternis Portal - Gothic Forum und Portal

Der Tod lässt sich nicht gern betrügen, aber ein unvollständiges ES gefällt mir noch viel weniger. Vom Tode auferstanden, spiele ich eine Runde Mau Mau mit dem Wahnsinn (es war wahnsinnig amüsant) frage scheinheilig, wo ES denn jetzt steckt.
Der Wahnsinn nimmt es leicht, ihm fehlt ja nichts, denn es fehlte schon immer an allem und wenn ES weg ist, fehlt ihm nicht mehr als bereits zuvor.
Doch ich kenne jetzt, wahnsinnig froh, den Weg zu ES. Sie versteckte sich mit ES so dicht bei ihm, dass es zum verrückt werden war, aber es ist leicht, einem Wahnsinnigen ES wegzunehmen und jenes Tollhaus aufzusuchen, dessen Türen stets woanders hin führen und dessen Treppen ins Nichts zu neigen enden.

Doch so leicht ein Wahnsinniger sich auch bestehlen lässt,
so toll es er auch in deiner Raserei,
wenn er den Verlust bemerkt.
Es stehem dem Wahnsinnigen Tür und Tor und Erde und Himmel offen,
da der Wahnsinn kein Gesetze kenn und so auch kein Gesetze für ihn gilt.
So nahm ich auf, im wilden Wahn,
die Stur der Auferstanden und fand im Nichts, dass heißt in allem,
was ich so begehrt, nach dem ich mich so verzehrt.
ES fest ihm arm,
halt es warm wie ein kleines Kind,
ging es zum Mittelpunkt der Erde gar geschwind.
So war ich dort,
an diesem nah fernem Ort,
und fühlte mich wohl.

Der Tod war schon überall, und trotz gescheiterter Ehe, überlässt er mir eine Karte über die verborgenen Winkel dieser Welt. Ein Hauch des Todes begleitet mich noch, als ich mich auf den Weg zum Mittelpunkt der Erde mache. Es wird warm, wärmer, heiß, glühend heiß. Aber der Tod vermochte es, eine Kälte in mir zu erwecken, dem die Hitze nichts anhaben kann.
Eingerollt in der unerträglichen Hitze, finde ich ES. Ich bin kalt genug, die ehemals Wahnsinnige zu Eis erstarren zu lassen und nehme ES wieder an mich. Wer so tief hinabzusteigen vermag, vermag es vielleicht nicht, hoch hinauf zu gehen.
Auf den Schwingen des Tode begebe ich mich in ein Schloss, das Schloss des Himmels, ein Wolkenschloss. Dort ist es kalt, eiskalt. Ich verberge mich in den undurchsichtigen Wolken und passe gut auf ES auf. Sollte mich jemand finden, wird ein Sturmgewitter losbrechen, das seines gleichen sucht.

Heute stehe ich ein wenig neben mir - im wahrsten Sinne des Wortes.

Was genau geschah, konnte ich noch nicht ergründen, doch als die ersten Strahlen der blassen Wintersonne sich an diesem Morgen zögerlich ihre Bahn durch das Dunkel der Nacht brachen und mich wieder einmal viel zu früh aus meinen Träumen rissen, blickte ich mir selbst in die noch vom Schlaf glasigen Augen. Unverständnis. Verwirrung. Dann blanke Panik, als ich an mir hinuntersehen wollte und feststellen musste, dass kein Körper mehr meiner Gedanken Heimat zu sein schien.
Stattdessen lag das Gesicht meiner fleischlichen Hülle einige Zentimeter von dem Punkt entfernt, an dem ich normalerweise meinen Kopf erwarten würde.

Ich beeilte mich, meinem Körper zu folgen, als dieser plötzlich ohne mein Zutun die Decke zurückschlug, sich erhob und begann, seinem gewöhnlichen Alltagsgeschäft nachzugehen.
Während ich mich also fasziniert, wenn auch noch immer voller Furcht, selbst beim Frühstück beobachtete, drang auf einmal ein entferntes, dumpfes Rufen an mein immaterielles Ohr. Obwohl der Klang der fremdartigen, melodiösen Stimme kaum wahrzunehmen war, hörte ich doch sofort auf. Ein Gefühl der Zugehörigkeit und der tiefen Vertrautheit ergriff Besitz von mir, als würde das gesammelte Wissen der Geschichte klebrigen Honigs gleich meine Gedanken erfüllen, jeder menschliche Instinkt mit der Urgewalt des tiefsten Überlebenstriebs auf mich einprasseln. Eines war mir ohne Zweifel klar - ich musste diesem Ruf folgen.

Der Vorteil der unerwarteten Körperlosigkeit besteht darin, dass sämtliche Einschränkungen des irdischen Lebens ihre Gültigkeit verlieren. Zudem ist ein menschlicher Körper ohne jegliches Empfinden ein überraschend widerstandsfähiges Werkzeug. Der noch immer in mir widerhallenden Stimme folgend, konnte ich meine Gestalt dazu bewegen, mir den Weg zu ebnen und Erkundigungen einzuholen. Durch diese verstohlenen Fragen, die über die mir so vertrauten Lippen mit herzzerreißender Seelenlosigkeit flossen, erfuhr ich schließlich von einem eisigen Wolkenschloss, in dem ein Begleiter des Todes und Herrscher der Winde ein unbekanntes Objekt bewachte. Das musste es sein, das so nach mir rief! Welcher andere Schatz konnte schon so wertvoll sein, dass der Tod selbst sich in die Affäre einmischte?

In weiser Voraussicht schickte ich meinen Körper vor. Ich bedauerte es, sehen zu müssen, wie er in dem aufziehenden Sturm gequält und gebrochen wurde, doch ich fühlte, dass er in meiner Abwesenheit nicht zu ernsthaftem Schaden kommen konnte. Zudem sorgte sein Auftritt für die nötige Ablenkung des unerbittlichen Wächters, die es mir erlaubte, unbemerkt in das Wolkenschloss einzudringen.

Der Tod oder sein Gefährte hätten mich vielleicht aufhalten können, doch Sturm und Kälte hatten mir nichts an. Und so erblickte ich ES, unbeschreiblich wie ich selbst in meinem Zustand und so unbegreiflich wie ungreifbar. Es war mir ein leichtes, ES, das so sehr mich widerspiegelte, fest in meinen Geist zu verflechten, es im Herzen zu tragen, in Ehren zu halten.

Nachdem ich ES auf diese Weise vollständig an mich genommen hatte, verstreute ich meine Gedanken im Wind. An eine Rückkehr in meinen Körper war fürs Erste nicht zu denken, stattdessen ließ ich mich vom noch immer brodelnden Sturm in winzigen Gedankenfetzen über die Lande tragen - ES sicher verborgen in einem davon.

Ich war mir ganz sicher, alle Sicherungsvorkehrungen hatten gegriffen, ich habe aufgehalten, was sich meiner Heimat nähert und ich habe in Fetzen gerissen und Knochen gebrochen, dass es selbst den Tod in Verzückung brachte. Und dennoch. Irgendwas hat sich in mein Schloss geschlichen und ES mit sich genommen. Der Tod flüstert es mir zu, ich sehe es ja selbst. ES ist weg. Die Stürme um mein Schloss erheben sich, Blitze treffen unzählige Häuser, Feuer soll über alles hereinbrechen, Wassermassen die Ruinen fortspülen, alles soll meinen Zorn sehen, nichts soll es wagen, sich in meinen Weg zu stellen!
Ich muss ES wiederfinden, koste es, was es wolle!
Der Tod umwandert den zerstörten Körper doch er kann ihn nicht mit sich nehmen. "Es ist nicht vollständig, das Wertvollste fehlt. Das hier ist nur eine Hülle. Das Innerste geht seiner eigenen Wege, aber ich kann die Spur sehen ..."
Ich will sofort, ich will jetzt, ich will zu ES, es gilt keine Zeit zu verlieren (leider ist Zeit unheimlich faul, er flaniert auf eine der Wolken und meint zum Tod und mir: "Lasst euch nur Zeit ...". Dem Tod zu folgen ist sterbenslangweilig, aber ich muss ihm geduldig folgen.
Und da sehe ich ES, umsponnen von etwas Unbeschreiblichen, das der Tod als "das Innerste" identifiziert, das, was den zerstörten Körper verlassen hat, um ES zu stehlen. Todesmutig stürze ich voraus. Der Tod selbst umkreist begierig das Innerste. Ich nehme ES an mich, der Tod legt seinen Arm um das Unbeschreibliche: "Komm, meine Liebe. Eine Seele ohne Körper, das ist wider der Natur und glaub mir, Mutter Natur bekommt immer ganz furchtbare Laune, wenn man sich um ihre Gesetze herum mogelt ..."

Nightjar ist abgelenkt vom Tod und dessen Gespräch, so stibitze ich ES aus seinem lockeren Griff und stehle mich ganz leise davon.

Nun gehört ES wieder mir.