Ich grüße euch,
nun ist es also soweit. Nachdem ich die leeren Felder eine halbe Stunde lang angestarrt habe, gedankenverloren und leicht nervös wegen des bevorstehenden Seelenstrips, versuche ich mich euch wie gewünscht vorzustellen.
Ich heiße Conny. Das ist die Kurzform von Cornelia und war vor Jahren die Steilvorlage für einen Witz über meinen damaligen Faible für asiatisch angehauchte Outfits. (Der Film "Die Geisha" hatte es mir zu der Zeit sehr angetan.) So entstand jedenfalls mein Nickname, den ich seither im Netz trage. ConnyChiWa.
Mich gibt es seit 33 Jahren und das nun weiß auf schwarz zu sehen, ist irgendwie skurril. Zum Glück habe ich einen Sprößling mit 4 Jahren zu Hause, der mich liebevoll Mama, Pupsi oder "du Verrückte" nennt und mein liebster Spielkamerad ist, mit dem ich mich wunderbar aus der Erwachsenenwelt stehlen kann, wenn uns danach ist.
Erwachsen bin ich auch manchmal. Manchmal muss ich es sein. Aber dazu später.
Der andere Pups, auch Papa genannt, ist mein Mann. Er ist nicht annähernd "schwarz". Bis auf die langen Haare, ist er wohl das ganze Gegenteil von mir.
Ich bin ein Herzmensch, er ein Kopfmensch. Mich macht direkte Sonneneinstrahlung ganz verrückt, ihn dafür der Winter. Die Liste könnte ich weiter führen, aber das gehört hier nicht hin.
Nun komme ich nochmal zum erwachsen sein müssen zurück und sofort macht mein Herz einen Sprung - allerdings nicht vor Freude.
Vor fast drei Jahren bekam ich zum 1. April die Diagnose Krebs. Als wäre das nicht genug, war es Knochenkrebs. Ein Osteosarkom nannten sie das Ding, das an meinem Unterkiefer wucherte. Ich gehe nicht davon aus, dass sich hier jeder damit auskennt, was ein Osteosarkom ist, daher nur ganz kurz:
Es ist eine Art von Knochenkrebst, die sehr selten ist und äußerst aggressiv. Behandeln lässt sich diese Art Krebs nur genauso aggressiv, wie er selbst ist. Er muss komplett entfernt werden, sonst war's das.
Zum Glück konnten mich die Ärzte retten, indem sie mir den halben Unterkiefer entnahmen und durch eine Titanschiene ersetzten. Seither ist meine Unterlippe auf der linken Seite leicht gelähmt. Es folgten ein halbes Jahr eine sehr starke Chemotherapie und 7 Wochen starke Bestrahlung. Das muss nicht in allen Fällen gemacht werden, aber ich hatte eben das zweifelhafte Glück das komplette Programm zu erhalten. Letztes Jahr wurde mir ein Teil des Wadenbeins aus dem linken Bein entnommen und als Ersatz für den fehlenden Teil des Unterkieferknochens eingesetzt. Warum, weiß man nicht, aber danach hatte ich zu der leichten Lähmung an der Unterlippe auch noch ein gelähmtes Stimmband auf der linken Seite. Juhu. Glückspilz! Nun konnte ich also über Wochen nicht essen, laufen oder richtig reden. Seither weiß ich, dass ich es nicht ertragen kann, so hilflos zu sein. Es war meine ganz persönliche Hölle und der Beweis, dass es eben doch schlimmer kommen kann. Nach hartem Training mit meiner Logopädin konnte ich wieder halbwegs normal reden, als man festgestellt hat, dass das linke Stimmband beim Reden leicht schwingt. Ich habe es seither nicht mehr gesehen, aber ich trainiere meine Stimme fast täglich und kann kaum noch einen Unterschied zu früher erkennen, daher denke ich, dass es mittlerweile wieder fast so leistungsfähig ist, wie früher.
Und nun komme ich zum wesentlichen Teil. Warum ich nun hier bin und euch meine Geschichte so ausführlich berichte.
So sehr man mir auch versichert, dass ich kaum entstellt bin, sagt mir mein Spiegelbild etwas anderes. Ich leide sehr darunter, was ich erlebt habe, diese Desillusion und was ich entbehren muss - körperliche Unversehrtheit und das Aussehen, an das ich mich so viele Jahre gewöhnt hatte.
Fragt mich nicht wie, aber ich habe es neben dieser ganzen Misere doch tatsächlich geschafft, dass mein Sohnemann ein glückliches und unbeschwertes Kind geblieben ist. Er ist mein Augenstern. Der Grund, für den ich gekämpft habe und für den ich immer wieder über mich selbst hinaus wachse.
Aber ich drifte schon wieder ab.
Meine Geschichte macht mich sehr unsicher und verletzlich. Darum gehe ich auch ganz offen damit um. Wenn man von meiner Krankengeschichte weiß, versteht man mich vermutlich besser. Außerdem kann ich es nicht ausstehen, wenn man mir auf die schiefe Lippe oder meine vielen Narben starrt und ich die Gedanken im starren Blick erahnen kann. Meine Narben trage ich jedoch mit Stolz. Denn sie zeugen davon, wie stark ich sein musste, um heute noch lebendig sein zu dürfen.
Wenn möglich, gehe ich so einmal im Monat aus, um unter Leute zu kommen, in liebevoller Gesellschaft gute Musik zu hören und mich im Tanz darin zu verlieren. Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass ich jetzt noch weniger in diese Welt passe, als vor dem Osteosarkom.
Die Gothic-Kultur entdeckte ich mit 15 für mich. Es war Liebe auf den ersten Klick. Ich bin durch das Forum Nachtwelten darauf gestoßen und es war, als hätte ich entdeckt, dass ich adoptiert wurde und meine richtige Familie gefunden habe.
Ich fühlte mich endlich verstanden und angekommen.
Gothic ist für mich eine liebevolle, nachdenkliche, natürlich oft melancholische und bestenfalls sogar eine poetische Gesinnung, mit einem Drang nach düsteren Ästhetik. Hier kann ich atmen und hier darf ich mich heimisch fühlen.
Durch die Mutterschaft und meiner bewegten Krankengeschichte hatte ich in den letzten Jahren viel zu wenig Gelegenheit meine Gesinnung mit Gleichgesinnten auszuleben. Wenn ich nicht als Mutter für meinen Augenstern da war, war ich oft zu geschwächt, um auszugehen, oder ich habe mich zurückgezogen, weil auch meine Seele Heilung brauchte.
Ich bin seelisch noch weit von Heilung entfernt. Zumindest physisch steht es gut um mich. Die letzte größere OP dieses Jahr wird mein - wenngleich auch leicht schiefes - Lächeln wieder vervollständigen. Dann habe ich diese Tortur endlich hinter mir.
Zur Genesung meiner Seele gehört im Moment dazu, mich mit anderen Menschen ähnlicher bis gleicher Gesinnung austauschen zu können. Damit meine ich euch.
Ich bin heilfroh, hier zu sein und ich hoffe sehr, mit offenen Armen empfangen zu werden.
Und so schließe ich herzlichst,
Conny